SWÖ-KV: Schlechten
Abschluss nicht ohne Widerstand hinnehmen!
Bei
den Verhandlungen zum SWÖ-Kollektivvertrag hatten sich schon viele
aktive Kolleg*innen auf eine lange und harte Auseinandersetzung
vorbereitet. Viele wollten die Chance nutzen und eine deutliche
Verbesserung erreichen. Aber: kaum hat es begonnen, war es auch schon
wieder vorbei. Am 19. September 2022 wurden die Forderungen für die
Verhandlungen zum Sozialwirtschaft–Österreich-Kollektivvertrag
(SWÖ-KV) übergeben, und in der 4. Runde am 16.November gab es schon
einen Abschluss. Die kurze Dauer der Verhandlungen steht in einem
Zusammenhang mit dem schlechten Ergebnis: die Spitzen von GPA, VIDA
und ÖGB wollten abschließen um Streiks zu vermeiden. Mit
bundesweiten, gemeinsamen Streiks wäre aber viel mehr drinnen
gewesen. Die Kolleg*innen der Ordensspitäler streiken bereits und
beim Fond Soziales Wien gibt es viele Kolleg*innen die den schlechten
FSW-KV-Abschluss vom Mai 2022 nicht einfach kampflos hinnehmen
wollen. Es gibt also viele Ansatzpunkte für Widerstand. „Sozial,
aber nicht blöd“ will eine breite Solidaritätsbewegung mit
bestehenden Kämpfen aufbauen und jeden Ansatzpunkt für Widerstand
nutzen. Das Ergebnis verschärft die finanziellen Probleme der
Mehrheit der Kolleg*innen und verbessert nichts an den krankmachenden
Arbeitsbedingungen und vor allem der Negativspirale im Bereich.
Deshalb wären in einem ersten Schritt Urabstimmungen der betroffen
Arbeitnehmer*innen unbedingt nötig.
Das Ergebnis vom 17.November lässt viele Kolleg*innen ratlos
und zornig zurück. Denn für viele bedeutet dieser Abschluss eine
Verschlechterung der Lebenssituation. Einige wenige Kolleg*innen
profitieren. Das sind etwa Kolleg*innen in den hohen
Verwendungsgruppen (8 und 9) und einer Zulage (in dem Fall
typischerweise mit einer kleinen Leitungszulage oder ähnlichem), das
sind auch Kolleg*innen aus der vollen Erziehung in der offenen
Jugendarbeit (sie profitieren von der Umreihung in die
Verwendungsgruppe 8) oder Kolleg*innen die Ausbildungen abschließen
und neue Berufe im Sozialbereich und in der Pflege ergreifen. Sie
verlieren ab jetzt keine Vordienstzeiten mehr. Wir negieren diese
kleinen Erfolge nicht, wir freuen uns ehrlich für die Kolleg*innen!
Sie machen aber nur einen kleinen Teil der etwas 130.00 unmittelbar
betroffenen Kolleg*innen aus. Dazu kommen noch die Kolleg*innen von
Caritas und Diakonie, wo inzwischen der SWÖ-Abschluss übernommen
wurde.
Eine ehrliche Betrachtung des Abschlusses sieht nicht sehr erfreulich aus. Die viel gepriese Erhöhung fürs Einspringen, ist am Papier eine Erhöhung des „großen“ Flexibilisierungszuschlags (Einspringen am dienstfreien Tag innerhalb von 3 Tagen) auf 25,85 Euro. Eine Verbesserung um 4,5 Euro. Von der ursprünglichen Forderung nach einer Verdoppelung (das wären 42 Euro gewesen) und einer Ausweitung auf ein Einteilen innerhalb von 2 Wochen sind wir meilenweit entfernt.
Der
Kern des Abschlusses: 8%-KV-Erhöhung aber mindestens 175 Euro ist in
Zeiten wie diesen ein Turbo in die Armutsfalle. Angesichts der
aktuellen Teuerung und der geringen Einkommen in der Branche gleichen
die 175 Euro bzw. die 8% die Verluste durch die Teuerung nicht einmal
annähernd aus, zumal es ja auch um Bruttobeträge geht und die große
Masse der Kolleg*innen nur Teilzeit arbeitet - sehr viele von ihnen
nicht freiwillig. Wer mit einem niedrigen Teilzeiteinkommen die
aktuelle Teuerung stemmen muss, der bleibt mit diesem Abschluss
weiter über. Dazu kommt. Der letzte Abschluss brachte 2020 und 2021
geringe Erhöhungen, 2022 den Vollzeitkräften eine Nulllohnrunde und
den Teilzeitbeschäftigten ein plus von 2,7 %, weil mit der
(selbstbezahlten) Arbeitszeitverkürzung auf 37 Wochenstunden die
Bezahlung der einzelnen Stunden anstieg. Was bei dieser Rechnung oft
übersehen wird, ist, dass viele Kolleg*innen aus unterschiedlichen
Gründen Job wechseln müssen, z.b. weil ihr Arbeitsplatz verloren
geht. Viele Arbeitgeber*innen geben die Arbeitszeitverkürzung 1:1
weiter in dem sie neue Jobs verkürzt ausschreiben, aus einem 25
Stunden Job wird dann einer mit 24 Stunden. Das Ergebnis: die selbe
Arbeit in einer Stunde weniger. Es hätte also schon mindestens 3 %
gebraucht um die Verluste des letzten Jahres auszugleichen. Für
einen großen Schritt raus aus dem Niedriglohnsektor - den viele
erhofft haben - hätte es überhaupt noch mehr gebraucht. Fazit:
Der Abschluss hilft nicht gegen die aktuelle Teuerung, gleicht die
Verluste des 3 Jahresabschlusses nicht aus und tut schon überhaupt
gar nichts um die strukturelle Unterbezahlung der Branche zu beenden.
Ein
zentraler Fehler liegt mit Sicherheit in der Idee der „rollierenden
Inflation“. Angesichts der enormen Steigerung, ist ein Schnitt der
letzten 12 Monate ein Fehler. Dazu kommt: keine engagiere
Betriebsrätin, kein Gewerkschaftssekretär, kein ÖGB naher Ökonom
geht davon aus, dass die Preise so schnell wieder fallen werden.
Bleibt die „rollierende Inflation“ ein Verhandlungsdogma, sind
weitere Reallohnverluste vorprogrammiert. Aber was zwingt
Verhandler*innen und Gewerkschaften bei diesem Dogma zu bleiben?
Arbeitszeitverkürzung fehlt vollständig
Wie von vielen Kolleg*innen befürchtet fiel die Arbeitszeitverkürzung unter den Tisch. Viele Gewerkschafter*innen meinen, dass angesichts der Rekordteuerung für viele Kolleg*innen die Arbeitszeitverkürzung nicht so wichtig ist. Ein genauer Blick in die Branche zeigt, dass dies nicht stimmt. Teilzeit ist in unsere Branchen ein Massenphänomen, oft gezwungenermaßen, weil Jobs nicht anders angeboten werden. Aber auch dort wo Kolleg*innen sich Teilzeitjobs gewünscht und bekommen haben ist dies nur scheinbar freiwillig. Die permanente Unterbesetzung, die psychischen und körperlichen Belastungen sind in vielen Fällen so spürbar, dass Kolleg*innen freiwillig ein sehr niedriges Einkommen in Kauf nehmen, auf Urlaubsreisen und anderes verzichten um mit einem Teilzeitjob nicht die Gesundheit weiter zu gefährden. Andere machen lange Pausen bei einem Jobwechsel oder gehen häufig in Bildungskarenz um sich zu erholen. Viele Kolleg*innen stecken in der Spirale mehr Arbeit besserer Verdienst aber schlechte Gesundheit oder weniger arbeiten und damit viel wenig verdienen, und weniger belastet sein. Aus dieser Falle hilft nur eine sofortige Arbeitszeitverkürzung auf 35 Wochenstunden - als ersten Schritt - bei vollem Lohn und Personalausgleich. Trotz gegenteiliger und mehrmals bekräftigter Forderung vieler Kolleg*innen und Betriebsrät*innen wurde diese komplett ignoriert. Nur ein Streik hätte die Blockade der SWÖ hier brechen können.
Die kurze Zeit der Verhandlungen, hat viele erfahrene Kolleg*innen in der Branche überrascht. Letztes Mal lag der Start beim 29.11. 2019 und der Abschluss bei Ende März 2020. Geprägt waren die letzten Jahre nicht nur von langen Verhandlungen sondern auch von einer enorm gestiegen Streikbereitschaft. Zur Erinnerung: Ab 2018 gab es eine ansteigende Streikbewegung, 2019 wurde mehr gestreikt als 2018 und 2020 gab es in vielen Betrieben mehrere längere Streiks es formierte sich eine Bewegung die immer stärker zu werden schien. Mit dem „Argument“ bzw. Vorwand der Pandemiebekämpfung wurden Demonstrationen und Streiks abgesagt, eine Bewegung abgewürgt und ein sehr umstrittener 3 Jahresabschluss durchgesetzt. 3 Jahre in den viel passiert ist: Eine Pandemie die, die Dringlichkeit von Verbesserungen in der Pflege und im Sozialbereich aufzeigte und den Beschäftigten in der Branche sehr viel Sympathie und Solidarität brachte, eine 0-Lohnrunde für SWÖ-Vollzeitbeschäftigte eine Teuerungswelle die viele Kolleg*innen vor existentielle Probleme stellt und vieles mehr. Am Ende der 3 Jahre sahen viele Kolleg*innen die Möglichkeit eine echte Verbesserung ihrer Situation zu erkämpfen und das eine oder andere nachzuholen, was 2020 versäumt wurde. Diese Chance wurde vorerst vergeben.
Warum
wurde nicht gestreikt?
„Wir
sind streikbereit“ war das Motto von Tausenden Kolleg*innen während
der Aktionstage im November. Bei der überraschend großen und
kämpferischen Demonstration am 8.11. war der Demospruch „Wir sind
streikbereit“ unüberhörbar. Die Belegschaften von LOK und
Samariterbund Sozialbereich hatten gleich für den Tag einen
Warnstreik organisiert. Auch der „Defacto-Streik“ (O-Ton
Wienerzeitung) der über 1600 Kolleg*innen von Bildung im Mittelpunkt
war in aller Munde und der Zuspruch von Eltern, Lehrer*innen und
anderen war groß, ein typisches Beispiel für die Solidarität mit
unserer Branche.
Leider
wurden im Verhandlungsprozess deutlich, dass seitens der
Gewerkschaftsspitzen ohne Streiks abgeschlossen werden soll. Deutlich
wurde dies bei den Metaller*innen, weil das Arbeitgeber-„angebot“
sehr schlecht war, plante man für Montag den 07. November erste
Warnstreiks. Diese hätten im öffentlichen Raum, in Wien und
Oberösterreich auch an zentralen Verkehrsknotenpunkten (der Wiener
Südeinfahrt auf der Triesterstraße) stattfinden sollen. Um dieses
Szenario zu verhindern wurde seitens der Gewerkschaftsspitzen übers
Wochenende mit „Open End“ verhandelt und man „erreichte“
einen Abschluss, der viele Metaller*innen verärgert zurückließ.
Von dieser Entwicklung alarmiert, wollten viele Betriebsrät*innen
noch vor dem 16.11. Aktionen setzten. Manche sahen die Notwendigkeit
zu streiken, hatten aber nicht mehr die Zeit für die nötigen
Vorbereitungsmaßnahmen. Ähnlich wie bei den Metaller*innen wurde
dann auch der SWÖ-KV am 16.11. vorschnell abgeschlossen.
Offensichtlich gibt es Angst vor einer großen Streikbewegung an der
Gewerkschaftsspitze. Aber auch eine Dynamik die Kontrolle der
Sozialpartnerschaft abzuschütteln. Offensichtlich keine schöne
Vorstellung für viele Spitzengewerschafter*innen.
Gemeinsam
„Kampfplan“ entwickeln
Bei
vielen Betriebsrät*innen, auch bei vielen SWÖ-KV-Verhandler*innern
war es eher eine Frage der fehlenden Strategie. Viele wissen: Für
einen Abschluss der den Kolleg*innen die Verbesserung bringt die sie
brauchen, ist es nötig sich mit den Arbeitgeber*innen und vor allem
den Geldgeber*innen auf Landes-und Bundesebene anzulegen. Das braucht
eine Eskalationsstrategie und eine Plan um diesen Kampf zu gewinnen.
Ohne diesem Werkzeug, wird es immer wieder engagierte, kämpferische
Kolleg*innen geben, die einem faulen Kompromiss zustimmen. Schon vor
dem Start der Verhandlungen braucht es eine Organizing und
Vorbereitungskampagne um die breitest mögliche Bewegung aufzubauen,
die tatsächlich dazu in der Lage ist weitgehende Verbesserungen
durchzusetzen.
Starten
sollte so eine Bewegung durch die gemeinsame demokratische
Erarbeitung eines Forderungskatalogs durch Betriebsversammlungen
sowie regionale und bundesweite Betriebsrät*innenkonferenzen.
Außerdem braucht es eine Organizing-Kampagne, die von Anfang an
möglichst viele Betriebe auf Streiks vorbereitet und ab dem Start
der KV-Verhandlungen eine breite Solidaritätskampage um massiven
öffentlichen Druck aufzubauen. Durch so eine Kampagne könnten wir
die notwendigen Verbesserungen durchsetzen. „sozial, aber nicht
blöd“ als kämpferische
Basisinitiative sieht es als
Aufgabe, gemeinsam mit vielen aktiven Kolleg*innen einen solchen Plan
zu entwickeln.
Urabstimmungen
und Solidarität dringend nötig
Als ersten Schritt wollen wir den Kampf um demokratische
Entscheidungen in Form von Urabstimmungen stärker werden lassen.
Dazu wollen wir mit mithelfen, dass es in möglichst vielen Betrieben
symbolische Urabstimmungen gibt. Diese sollen gemeinsam beworben und
gemeinsam ausgewertet werden. „Sozial, aber nicht blöd“ setzt
sich zum Ziel die symbolischen Urabstimmungen mit möglichst vielen
Aktionen zu begleiten. Andere
Branchen (zB. die Eisenbahner*innen) haben vorgezeigt: Wenn die
Teuerung überproportional zuschlägt, kann auch vorzeitig über
Verbesserungen verhandelt werden. Nicht ausgeschlossen, dass auch im
SWÖ-Bereich Kolleg*innen Initiativen in diese Richtungen setzten.
„Sozial, aber nicht blöd“ steht weiter auf dem Boden der „Wiener
Forderungen“ von 750 Euro plus auf alle Verwendungsgruppen,
Doppelte Teuerungsrate auf alle Zulagen und Zuschläge und einer
sofortigen 35 Stundenwoche.
Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass die Regierenden auf Bundes- und Landesebene die Kosten für ihre Wirtschaftshilfen und Aufrüstung durch Einsparungen auf unserer Branche abladen werden und den aktuellen Notstand damit noch weiter verschärfen. Die Notwendigkeit für den Aufbau von Widerstand im gesamten Gesundheits-, Sozial- und Bildungsbereich wird in den nächsten Jahren nur weiter wachsen und wir müssen uns darauf vorbereiten diesen Kampf während aber auch zwischen den KV-Verhandlungen aufzubauen.
Der gemeinsame Kampf für mehr Geld, mehr Personal und weniger Arbeitszeit geht weiter!